24. Mai 2014 – Manager der traditionellsten Branche der Welt misstrauen einer vielversprechenden Technologie.

INNOVATION – Hört man dieses Wort, dann fallen einem kleine, agile Startups ein, welche clevere Ideen mit modernster Technik umsetzen. Aber Innovation ist ebenfalls in angestammten und bereits lange etablierten Industrien vital und es gibt wohl nicht viel Älteres als die Landwirtschaft. Viele Landwirte können den engstirnigsten Managern zugerechnet werden, so ist es keine Überraschung, dass bei ihnen eine neue und umwälzende Idee mit dem Namen Prescriptive Planting, der Rezeptpflanzung, für Nervösität sorgt. Es ist ein System, welches den Bauern mit grösster Präzision vorgibt, welche Samen auf welchem Acker zu pflanzen und zu kultivieren sind. Dies könnte zum umfassendsten Wandel der Landwirtschaft in den reichen Staaten seit der Einführung von gentechnisch verändertem Saatgut führen. Es ist mindestens so umstritten, wirft es doch grundlegende Fragen auf, wem eigentlich die Informationen gehören, auf welchen das System basiert. Und es wirft die im Dreck wühlenden Bauern in die Welt von Big Data und Auseinandersetzungen rund um die Privatsphäre.
Das System zur Rezeptpflanzung von Monsanto – FieldScripts – war im letzten Jahr in der Versuchsphase. Heute (2014) ist es in vier US-Bundesstaaten offiziell verfügbar. Seine Geschichte reicht zurück ins Jahr 2006 zu einem Silicon Valley Startup namens Climate-Corporation. Gegründet durch zwei ehemalige Google Mitarbeiter, verwendete die Firma Luftbildfernerkundung und andere kartographische Techniken, um jedes einzelne Feld in Amerika (25M an der Zahl) zu vermessen. Weiter überlagerten sie diese Karten mit allen Klimainformationen, welche verfügbar waren. Bis zum Jahr 2010 wuchs die Datenbank auf über 150 Milliarden Bodenmessungen und auf 10 Billionen Wetter-Simulationspunkte an.
Die ursprüngliche Geschäftsidee der Climate-Corporation war, den Bauern eine Ernteversicherung zu verkaufen. Doch im Oktober 2013 kaufte Monsanto die Firma für geschätzt eine Milliarde US Dollar, eine der grössten Übernahmen für einen Datensammler per dato. Monsanto, einer der weltweit grössten Hybrid-Saatguthersteller, verfügt über ein Portfolio mit Hunderttausenden von Samen und Terabytes von Daten in Bezug auf deren Erträge. Fügt man dieses Knowhow der Boden- und Wetterdatenbank der Climate-Corporation hinzu, dann bekommt man eine eine Landkarte von Amerika, welche einem sagt, unter welchen Bedingungen welche Saat auf welchem Feld am Besten gedeiht.
FieldScripts nutzt alle diese Daten, um Maschinen von der Firma Precision Planting zu steuern, ein Unternehmen, welches 2012 durch Monsanto gekauft wurde. Es ist ein Anbieter von Pflanzautomaten und von anderen Gerätschaften, welche an einen Traktor angehängt werden. Seit den Anfangszeiten, als diese noch einfache Kisten waren welche den Samen regelmässig in den Boden gedrückt haben, haben sich Sähmaschinen radikal verändert. Einige dieser Geräte werden jetzt mit GPS gesteuert, geladen mit Daten von Monsanto, um einen Acker mit verschiedenen Sorten in unterschiedlichen Tiefen und Abständen zu bepflanzen, abhängig von der Wettersituation. Der Vorgang ist so individuell, als könne der Bauer jede seiner Pflanzen beim Namen nennen.
Rezeptpflanzung gewinnt schnell an Boden. Im November 2013 hat ein weiterer Saatguthersteller, Du Pont Pioneer, sich mit dem Landwirtschaftsmaschinen Hersteller John Deere zusammengetan, um die Beratung in Sachen Saatwahl und Düngung bei den Landwirten massiv anzukurbeln. Die Bauerngenossenschaft Land O’Lakes, kaufte im Dezember ‘13 Geosys, ein Satelliten-Imaging-Unternehmen, um Ihr Farm-Datengeschäft weiter voranzutreiben.
Die Vorteile liegen auf der Hand: Landwirte, welche das Monsanto-System ausprobiert hatten, konnten die Erträge um rund 5% über zwei Jahre hinweg erhöhen. Das ist ein Kunststück, welches bisher keine andere Einzelmassnahme bewerkstelligen konnte. Die Saatgut-Unternehmen denken, dass mit der Bereitstellung von mehr Daten zu Handen der Landwirte der Maisertrag Amerikas von 160 Scheffel pro Acre (10 Tonnen pro Hektar) auf 200 Scheffel möglich ist. Das wäre ein toller Sprung für die tiefen Margen der Erzeuger.
Aber Vorkommnisse rund um das Thema Rezeptpflanzung sind auch ein warnendes Beispiel für die entstehenden Konflikte, wenn datengetriebene Unternehmer auf altbackene Geschäftsleute treffen. Viele Landwirte stehen bereits jetzt mit gemischten Gefühlen der Technik gegenüber: Es werden zwar die Erträge gesteigert, aber gleichzeitig vermindert sich die Rolle und die bis anhin benötigte Fachkenntnis des Bauern im Ackerbau, sprich der Landwirt wird weitgehend seiner Kernkompetenz beraubt. Das aktuell noch grössere Problem ist das, dass die Bauern den Anbietern dieser neuen Methode misstrauen. Sie befürchten, dass die aus den Pflanzungen und Ernten entstehenden, detaillierten Datenströme missbraucht werden könnten. Die Geschäftsgeheimnisse der Bauern könnten an konkurrierende Farmer verkauft oder sonstig weitergegeben werden; Im schlimmsten Fall wird befürchtet, dass die Anbieter der Rezeptpflanzung Ihre Daten sogar dazu verwenden könnten, um schlecht laufende Bauernhöfe aufzukaufen und dass die Konzerne dann damit anfangen würden, die Landwirte direkt zu konkurrenzieren. Oder die Daten über die Ernte(-Prognosen) könnten zu Ungunsten der Bauern für Spekulationen an den Rohstoffbörsen verwendet werden.
Dem geschenkten Gaul ins Maul geschaut Um solchen Sorgen entgegen zu wirken, hat die grösste Bauernvereinigung, das American Farm Bureau, mit der Erstellung eines Code of Conduct – eines Verhaltenskodex begonnen. Darin wird festgehalten, dass die Daten über die Äcker den Bauern gehören und diese die Kontrolle darüber behalten müssen. Dass die Anbieter der Daten diese lediglich für den ursprünglichen, freigegebenen Zweck zu verwenden haben und dass die Daten nicht an Dritte weitergegeben oder verkauft werden dürfen. Die Konzerne sind mit diesen Regelungen grundsätzlich einverstanden, auch wenn deren Verträge diesen Sachverhalt aktuell nicht immer widerspiegeln. Man könnte behaupten, dass die Eigentumsrechte nicht mehr gültig sind, wenn die Daten einmal weitergereicht und anonymisiert wurden, es ist zur Zeit also nicht genau klar, welche Rechte den Bauern effektiv zustehen. Aus diesem und anderen Gründen haben sich einige Texaner Landwirte zusammengeschlossen und die Grower Information Services Cooperative (Erzeuger Datendienst Kooperative) gegründet, um den grossen Datenanbietern entgegenzutreten und mit ihnen verhandeln zu können.
Eine weitere grosse Sorge ist, dass die Landwirte in die Lieferantenfalle tappen, da die Informationen nicht transferierbar sind. Die Bauern könnten somit in eine Lock-In Situation geraten, wo sie einem einzelnen Anbieter hilflos ausgeliefert sind. Um diese Bedenken zu zerstreuen, hat die Climate Corporation einen kostenlosen Informationsspeicherungsdienst aufgebaut. Auf die darin gehaltenen Acker- und Pflanzdaten kann durch Dritte nur mit Einwilligung der jeweiligen Bauern zugegriffen werden. Auch treten aktuell neue Datenmanagement-Unternehmen in diesen Nischenmarkt ein, was zu einer verbesserten Wettbewerbssituation führen wird.
In der näheren Zukunft werden aber die Grossunternehmen die Rezeptpflanzung, das Prescriptive Planting, weiterhin dominieren. Sie sammeln im grössten Masse die Informationen und wissen diese besser zu nutzen als jeder andere. Und das wirft das Problem auf, welches allen bei Big Data Anwendungsfällen vorliegt. Rezeptpflanzung steigert die Ernteerträge überall, genau gleich wie massenhaft verfügbare anonymisierte Patientendaten das Gesundheitswesen umfassend verbessern können.
Doch der Erfolg hängt schlussendlich davon ab, ob die Datenanbieter die Benutzer – seien es Landwirte oder Patienten – davon überzeugen können, ihnen zu vertrauen. Wenn die Nutzer glauben, dass sie dabei ein zu grosses Risiko eingehen und dass die Datenanbieter zu stark profitieren, dann wird das (in des Zeiten des Social Business so unglaublich wichtige) Vertrauen Mangelware bleiben.
Weitere Links
- http://www.salon.com/2013/12/29/monsantos_scary_new_scheme_why_does_it_really_want_all_this_data/
- http://www.monsanto.com/products/pages/fieldscripts.aspx
- The next farm revolution? http://kticradio.com/news/agricultural/index.php?more=8hxhurxn
- Sensorbasierte Pflanzung von DuPont und Monsanto http://www.naturalnews.com/044897_biotech_tractor_sensors_prescription_services.html#
3 Replies to “Digitale Disruption auf dem Bauernhof”